Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen (sogenannte Kompensationsmaßnahmen / KOM) für Eingriffe in Natur und Landschaft sind per Gesetz, zum Beispiel im §1 Bundesbaugesetzbuch und §14 und15 Bundesnaturschutzgesetz vorgeschrieben. Sie sind also keine großzügige freiwillige Leistung, sondern im Rahmen der Bebauungspläne bzw. Baugenehmigung rechtsverbindlich. Es gibt verschiedene Modelle, wie verfahren werden kann. So gilt z.B. nach dem sog. Osnabrücker Modell für Eingriffe durch Bebauung bei versiegelten Flächen der Wertfaktor (WF) 0, Acker meist 1,0 (0,9-1,1), Hausgärten 0,8, meist aber 1,0, Graben 1,0-1,5, ein naturnahes Kleingewässer 2,5, Intensivgrünland 1,3-1,4, Gebüsch 2,0-3,0, Wald 2,6-3,5, naturnahes Feldgehölz 2,2, naturnahe Stillgewässer 2,9 und extrem empfindlichen Bereichen der Faktor 5,0.
Entsprechende KOM sind z.B. Straßenbegleitgrün mit 0,8, Aufforstung mit Laubwald, Bepflanzung von Wällen 1,3, Aufwertung von Fließgewässern 1,5-3, Streuobstwiesen 2,0, Extensivgrünland 2,2 bewertet. Es gilt: Eingriffsfläche x WF= Eingriffsflächenwert = Kompensationswert (kompensierte Fläche x WF), ausgedrückt in Werteinheiten (WE). Sog. Ersatzgelder, auch für Flächenerwerb und Maßnahmen werden dann festgesetzt, wenn keine KOM im näheren oder weiteren Bereich durchführbar sind. Sie sollten dann möglichst wieder lokal oder zumindest regional für KOM Verwendung finden. Nach „Recht und Ordnung“, so die landläufige Meinung, scheint alles geregelt zu sein, denn die Eingriffe in die Landschaft werden ja ausgeglichen.
Ein Vertreter der BSH hat sich die Mühe gemacht, die ökologischen Vorgaben von 50 Bebauungsplänen – Windkraftanlagen, Gewerbe-, Wohnbaugebiete, Stallanlagen – einer Gemeinde in Westniedersachen mit der Realität in der Praxis zu vergleichen. Das Ergebnis der Untersuchungen, die sich auf mehr als 50 ha und eine Vielzahl von Maßnahmen bezogen, oft auch kleinteilig, war sehr ernüchternd. Denn die Bestandsaufnahmen zeigen, dass sowohl bei den internen, also innerhalb des Baugebietes gelegenen, wie auch bei den in die Landschaft verlagerten externen KOM erhebliche Defizite festzustellen sind. Insgesamt sind nur 12% der Maßnahmen frei von Defiziten oder gravierenden Mängeln.
Zu diesen zählen: Teilweises oder völliges Fehlen, also keine Umsetzung der Vorgaben, als besonders originelle Variante die Doppelbelegung, keine Meldung der Kompensationsverpflichtung an den überörtlichen Poolbetreiber, der für die Umsetzung in einem Gewässersystem sorgen soll, grobe Vernachlässigung fachlich guter Praxis bei Pflanzungen (zu späte Pflanzung, fehlender Pflanzschnitt, keine Pflege der Pflanzungen besonders in der Anfangsphase, vor allem bei Streuobstwiesen mit der Folge später sehr lückiger Bestände, standortfremde Gehölzauswahl), große zeitliche Differenz zwischen Eingriff und Umsetzung der – defizitären – Maßnahme. Hinzu kommt, dass weder die betreffende Gemeinde noch der Landkreis ein aktuelles, aussagekräftiges, sogar gesetzlich gefordertes Register führen. Zwar ist ein mit Stolz präsentiertes digitales Kataster der Kompensationsmaßnahmen auch im Internet seit etwa 5 Jahren einsehbar, jedoch nutzt dieses wenig, wenn . . .
- nicht wenige über B-Pläne, auch schon seit Jahren festgesetzte KOM-Flächen fehlen
- Stallanlagen, teilweise mit beträchtlichen Kompensationsbedarf, nicht enthalten sind
- Pools mit mittlerweile einigen 100.000 WE nicht auftauchen
- eine Gemeinde, trotz Aufforderung, Pool-relevante WE nicht meldet
- angegebene Flächen den KOM-Zweck nicht beinhalten
- interne, also innerhalb oder am Rande der Baugebiete liegende KOM meist nicht, und wenn, dann sehr unsystematisch aufgeführt sind,
- der Atlas also nicht aktuell ist,
- die Scheingenauigkeit der Flächengrößen mit mehreren Kommastellen zwar Präzision vortäuscht, dafür aber die wesentlich informativen und wichtigen Daten wie das Jahr der Festsetzung, der Termin der Maßnahmendurchführung, ebenso der Bezug auf den Eingriff wie die Nr. des Bebauungsplans mit Umweltbericht und die Werteinheiten fehlen.
Obwohl seit über 10 Jahren die geschilderte Problematik der Verwaltung und Politik von Kommune und Landkreis wiederholt anhand vieler Praxisbeispiele präsentiert wurde, war zumindest bis vor kurzem keine spürbare Reaktion erkennbar, hier Abhilfe zu schaffen. Das Desinteresse reicht von der Betonung, dass andere Dinge Priorität hätten bis zum Hinweis, dass „jede Maßnahme systematisch einmal kontrolliert wird“ und man Hinweisen von Bürgern und Naturschützern nachginge. Dies kann leider aus langjähriger Erfahrung nicht bestätigt werden. Auch wenn wider Erwarten die gröbsten Defizite behoben werden sollten, kann dies kein Grund dafür sein, die zukünftige Siedlungspolitik nicht ernsthaft zu überdenken, denn: Auch die „schönsten“, besten und ausgereiften KOM, wenn sie denn erfüllt sein sollten, ändern nichts an dem enormen Flächenverbrauch. Sie fördern oder erleichtern ihn offensichtlich noch, denn es scheint ja dafür einen „Ausgleich“, die Kompensation zu geben- die dann nicht oder mangelhaft stattfindet.
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