Pressemitteilung des Sachverständigenrats für Umweltfragen vom 14. Mai 2020:
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)
veröffentlicht heute sein Umweltgutachten „Für eine entschlossene Umweltpolitik
in Deutschland und Europa“ und erörtert es mit Bundesumweltministerin Svenja
Schulze in einer Videokonferenz. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie
verlieren Klimawandel und Biodiversitätsverlust aktuell an Aufmerksamkeit. Die
langfristige Bedrohung der ökologischen Lebensgrundlagen bleibt aber bestehen.
Die aktuelle Krise zeigt zudem eine ungeahnte Verletzlichkeit unseres Lebens
und Wirtschaftens auf. So unterschiedlich die beiden Krisen sind, gemeinsam ist
ihnen, dass sie nur durch gemeinsames und entschlossenes Handeln überwunden
werden können. Die jetzt notwendige Wiederbelebung der Wirtschaft sollte
genutzt werden, neue Wege zu gehen. „Großangelegte Konjunkturprogramme müssen
ökologisch zukunftsfähig sein“, sagt die SRU-Vorsitzende Prof. Claudia
Hornberg. „Es sollte in Lösungen investiert werden, die die umweltverträgliche
Entwicklung der Wirtschaft fördern.“ Die Bundesregierung sollte sich dafür
stark machen, dass auch die EU-Konjunkturprogramme darauf ausgerichtet sind,
den European Green Deal zu verwirklichen.
Für Deutschland wie für die EU gilt: Die Politik
muss unter Beweis stellen, dass sie angesichts der enormen ökologischen und
wirtschaftlichen Herausforderungen handlungsfähig ist. „Die EU steht mit Blick
auf die planetaren Grenzen gerade im Klimaschutz vor großen Herausforderungen.
Daher muss die Umweltpolitik im Rahmen des European Green Deal sichtbarer
Bestandteil der europäischen Wirtschafts-, Verkehrs- und Agrarpolitik sein.
Zugleich müssen für Umsetzung und Monitoring verbindliche Vorgaben gemacht
werden“, hebt Prof. Christian Calliess hervor. Auch bislang nicht ökologisch
ausgerichtete Wirtschaftsbereiche wie die Landwirtschaft und der Verkehr müssen
jetzt Umwelt- und Klimaschutz in den Vordergrund stellen. Der SRU schlägt
deshalb in verschiedenen Schlüsselbereichen Veränderungen vor.
Um den Klimawandel zu bremsen, ist es
unerlässlich, die Gesamtmenge an CO2 zu begrenzen, die noch
ausgestoßen wird. Diese entscheidet maßgeblich über das Ausmaß der Erwärmung.
Der SRU empfiehlt der Bundesregierung deshalb, ihre Klimapolitik an einem
langfristigen CO2-Budget auszurichten, das im Einklang mit den
Temperaturzielen von Paris steht. Prof. Wolfgang Lucht erläutert: „Ein
ausreichendes, faires und angemessenes deutsches CO2-Budget beträgt maximal 6,7 Milliarden Tonnen CO2 ab 2020. Bei linearer Reduktion muss Deutschland schon 2038 CO2-neutral sein, nicht erst 2050.“ Entschlossene
Klimaschutzmaßnahmen sind daher dringend erforderlich.
Seit Jahren sprechen wir davon, auf dem Weg zur
Kreislaufwirtschaft zu sein. Die Zahlen zeigen aber: Deutschland nutzt nach wie
vor zu viele Rohstoffe und verursacht damit gravierende Umweltbelastungen.
„Stoffströme müssen verringert und es muss eine konsequente Produktpolitik
implementiert werden, damit mehr Rohstoffe im Kreislauf geführt werden können“,
stellt Prof. Vera Susanne Rotter heraus. „Es ist wichtig, dass Produkte
langlebig, reparaturfreundlich, recyclinggerecht und schadstofffrei sind.“ Der
SRU empfiehlt, die Abfallhierarchie zu einer Kreislaufwirtschaftshierarchie
weiterzuentwickeln, um diese Aspekte zu verankern. Konkret sollte z. B. die
Ökodesign-Richtlinie auf weitere Produktgruppen ausgedehnt werden. Recycling
ist nicht nur an Quoten, sondern auch an seiner Qualität zu messen.
Intakte Gewässer sind die Voraussetzung für
funktionierende Ökosysteme, Artenvielfalt sowie lebendige Landschaften und
spielen eine wichtige Rolle bei der Klimaanpassung. Europäisch vereinbarte
Gewässerschutzziele werden flächendeckend verfehlt. Prof. Manfred Niekisch
betont: „Für die Renaturierung der Flüsse müssen mehr Flächen an den Gewässern
bereitgestellt werden.“ Außerdem erfordert die Umsetzung der europäischen
Wasserrahmenrichtlinie eine verbindliche Planung sowie ausreichend Gelder und
Fachpersonal.
Viele Menschen in Deutschland sind hohen
Belastungen durch den Verkehrslärm ausgesetzt. „Diese Lärmbelastungen stellen
ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar“, erläutert Prof. Hornberg. Sie treffen
sozial Benachteiligte häufiger als andere. Um den Schutz vor Verkehrslärm zu
verbessern, empfiehlt der SRU bundesweit festzulegen, ab welcher Lärmbelastung
Kommunen verpflichtet werden, Lärmschutzpläne aufzustellen. Außerdem sollten
die gesundheitsbezogenen Lärmschwellen in Deutschland deutlich verschärft und
die europäischen Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuggeräusche anspruchsvoll
ausgestaltet werden.
Der Stadtverkehr wird seit Jahrzehnten vom Auto
dominiert. Die Folgen sind Lärm, Luftverschmutzung, ein wachsender Flächen- und
Energieverbrauch sowie hohe Gesundheits- und Umweltkosten. ÖPNV, Fuß- und
Radverkehr sollten nach Auffassung des SRU stark ausgebaut werden. Die Novelle
der StVO ist für ein Umsteuern noch nicht ausreichend und muss nachgebessert
werden. „Eine konsequente Parkraumbewirtschaftung und eine streckenabhängige
Pkw-Maut sollten dazu beitragen, einer aktiven und umweltfreundlichen Mobilität
in der Stadt Raum zu geben“, sagt Prof. Claudia Kemfert.
Der SRU empfiehlt,
Quartiere als geeignete Handlungsebene für die Umwelt- und Klimapolitik stärker
zu nutzen. Quartiersbezogene Maßnahmen bergen Potenziale für den Umwelt- und
Klimaschutz und ermöglichen Synergien mit anderen Zielen. Sie sind der
Betrachtung von Einzelgebäuden überlegen. Hierzu zählen die Versorgung durch
Wärmenetze, serielle energetische Sanierung und die lokale Erzeugung
erneuerbarer Energien.
„Um die städtische Energiewende voranzubringen,
sollte die Eigenversorgung mit Strom und Wärme künftig gesetzlich vereinfacht
und die gemeinsame Erzeugung sowie nachbarschaftliche Versorgung mit Energie
erleichtert werden. Diese Aspekte sollten in das Gebäudeenergiegesetz Eingang
finden“, betont Prof. Lamia Messari-Becker.
Der wirtschaftliche Neustart nach der
Corona-Pandemie sollte dazu genutzt werden, die Weichen in Richtung
ökologischer Transformation zu stellen. Die enormen Mittel, die für die
konjunkturelle Wiederbelebung eingesetzt werden, müssen konsequent an den
Zielen der Klimaneutralität und des Umweltschutzes ausgerichtet werden.
Das Umweltgutachten „Für eine entschlossene
Umweltpolitik in Deutschland und Europa“ steht auf der Website des SRU zum
kostenlosen Download zur Verfügung.
Weitere Informationen erhalten Sie bei Dr. Julia Hertin, Tel.: +49 30 263696-118, E-Mail: julia.hertin@umweltrat.de
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) berät die Bundesregierung seit fast 50 Jahren in Fragen der Umweltpolitik. Die Zusammensetzung des Rates aus sieben Professorinnen und Professoren verschiedener Fachdisziplinen gewährleistet eine wissenschaftlich unabhängige und umfassende Begutachtung sowohl aus naturwissenschaftlich-technischer als auch aus ökonomischer, rechtlicher und gesundheitswissenschaftlicher Perspektive.
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Der Rat besteht derzeit aus folgenden
Mitgliedern:
Prof. Dr. Claudia Hornberg (Vorsitzende), Universität Bielefeld
Prof. Dr. Manfred Niekisch (stellv. Vorsitzender) Professor für Internationalen Naturschutz
Prof. Dr. Christian Calliess, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Claudia Kemfert, Hertie School of Governance und Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin
Prof. Dr. Wolfgang Lucht, Humboldt-Universität zu Berlin und Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker, Universität Siegen
Prof. Dr.-Ing. Vera Susanne Rotter, Technische Universität Berlin
Sachverständigenrat für Umweltfragen
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