NaturschutzForum fordert auch innerhalb von Ortschaften mehr Platz für Fließgewässer
Oldenburg. Seit Jahrtausenden leben Menschen an Fließgewässern und haben seitdem mit unregelmäßig wiederkehrendem Hochwasser zu tun. Solange sich Überschwemmungen in Niederungswiesen und Bruchwäldern ausdehnen, sind sie aus Sicht des Naturschutzes willkommen. Beispiele wie der Nationalpark Warthe-Mündung (Polen) zeigen, dass Hochwasser meterhoch in die Niederungen fließen kann, ohne Landwirtschaft oder Siedlungen zu gefährden. Das funktioniert jedoch nur mit Flutungsflächen ohne jegliche Bebauung.
In Deutschland sieht die Situation anders aus, wie die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 zeigte. Über 180 Menschen verloren ihre Leben, ganze Dörfer wurden durch die Wassermassen zerstört. Die Schäden sind immens.
Das NaturschutzForum Deutschland (NaFor) ist in Gedanken bei den Menschen in den betroffenen Gebieten und wünscht allen, die dort trauern, und allen, die dort vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, viel Kraft.
Was ist aus dieser Katastrophe zu lernen? Was ist seit Jahrzehnten hier in Deutschland bei der Flächennutzung in die falsche Richtung gelaufen? Nach Auffassung des NaturschutzForums ist ein wesentlicher Faktor der immer stärker werdende Druck auf Kommunen, freie Flächen im Außenbereich für Siedlungen, Gewerbe und Industrie zu bebauen, den Status von Schutzgebieten zu löschen, Sand- und Kiesentnahmen nicht angemessen zu kompensieren und Grünland in Ackerland umzuwandeln.
Waren noch in den 80er Jahren 200-jährige Hochwasserspitzen der allgemeine Bewertungsmaßstab für Hochwassergefahren, so reduzierte man das – politisch gewollt – auf nur noch 100-jährige Hochwasser. Das sparte Ausbau- und Vorsorgekosten. Orkane und Tornados verstärkten jedoch die Unwetterszene. Die Schadenssituation durch Hochwasser entlang der großen und kleinen, oftmals zu eng verrohrten Flüsse wie z.B. in Dresden, wo die kanalisierte Weißeritz 2002 nach heftigen Regenfällen im Erzgebirge den Hauptbahnhof flutete, forderte immer kostenintensivere Vorsorgemaßnahmen. Doch vielerorts wurden diese Maßnahmen nur zaghaft angegangen oder es wurde ganz darauf verzichtet.
Dass bei plötzlichen, lokal auftretenden Starkregenereignissen wie jetzt im Juli 2021 bis zu 200 Liter pro Quadratmeter und mehr abregnen können, war verdrängt worden. In anderen Ländern ist man besser darauf eingestellt.
So sind in Südfrankreich, z.B. in Montpellier, Rückstauflächen und „Flutrinnen“ als Hochwasser-Durchleiter üblich. Bei uns fehl(t)en sie. Aber wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass derartige Flutrinnen die meiste Zeit im Jahr „ungenutzt“, d.h. unbebaut, vorgehalten werden müssen. Einige Städte wie Oldenburg (Oldb) im Nordwesten bspw. verfügen über größere innerstädtische Niederungsbereiche und unbebaute Korridore an den Fließgewässern Hunte und Haaren. Sie dienen dann der Kurzzeiterholung und der Landschaftsökologie.
Die staatlichen Landesämter warnen schon seit Jahrzehnten, dass im Zeichen des Klimawandels, der höheren Temperaturen und wachsenden Extremereignisse von Tornados bis Starkregen der Bedarf an Rückhalteflächen gestiegen ist.
Bereits im Jahr 2004 wurden in Niedersachsen insgesamt 4.750 Kilometer, das sind etwa 83 % der als gefahrbringend eingestuften niedersächsischen Fließgewässer, als Überschwemmungsgebiete mit entsprechenden Überschwemmungsgebietsverordnungen gesichert – nachzulesen mit einem entsprechend großformatigen Kartenwerk in „Hochwasserschutz – Überschwemmungsgebiete in Niedersachsen“ (NMU). Allerdings geht man auch hier nur von 100-jährigen Spitzen (HQ100) aus.
Was können Kommunen und Flächenbesitzer tun, um durch eine möglichst naturverträgliche Rückhaltung und Steuerung des Wassers den Hochwasserextremen einerseits, aber der Wasserknappheit andererseits entgegenzutreten?
Hier einige Vorschläge des NaFor:
- Vorhalten und Erweitern von Poldern und eingewalltem Grünland
- Neueinrichtung von Auen und umdeichten Seen und Teichen
- Rückverlegung von Deichen und Rücknahme von Flussbegradigungen (Rückbau)
- Sämtliche Bebauungspläne etc. nach 200- bis 300-jährigem Hochwasser-Höchststand ausrichten, also keine Baugebiete unterhalb mehr einrichten, keine Bebauung von (potenziellen) Überflutungsgebieten
- Feuchte Brachen nur einmal jährlich mähen und unverändert lassen (keine Bäume)
- Naturnahe Wälder – auch im Ersatz von Monokulturen – fördern, den Waldbestand erweitern, keine Waldbeseitigungen mehr – z.B. für Gewerbegebiete, Landesziel sind 40% der Landesfläche
- Landschaftswasserhaushalt wiederherstellen durch Laufverlängerungen (neue Mäander, Laichgewässer, Röhrichtneupflanzungen)
- Gebot und Kontrollen der Versickerung aller Niederschläge (von den Dächern, Werkshallen etc.) auf jedem Grundstück, Versickerungsfähigkeit aller öffentlichen Flächen fördern
- Förderung von Zisternen im und am Haus, Umwandlung von ehemaligen Dreikammergruben für die Gartenbewässerung
- Zuführung öffentlicher Flächen in die Wasserrückhaltung (z.B. an Autobahnen, Regenrückhaltebecken, Feuerlöschteiche, Erweiterungen von Schifffahrtskanälen) und für ökogische Zwecke, z.B. im Rahmen der Biotopverbundsysteme, der selektiven Wiedervernässung von Mooren
Weitere Hinweise sind zu finden unter:
https://www.wwf.de/themen-projekte/fluesse-seen/hochwasser/forderungen-fuer-mehr-hochwasserschutz
Alles ist dringlich und muss viel schneller in die Tat umgesetzt werden als bisher.
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Weitere Hinweise des NLWKN sind zu finden unter: